„Ich scheisse auf die Kirche, ihren Papst und seinen Segen, ich brauch ihn nicht als Krücke, ich kann alleine leben…“ Diese Textzeilen aus dem Lied „Kirche“ der Böhsen Onkelz gespielt und mit grölenden Stimmen begleitet von einer Gruppe Jugendlicher bildete auf unserer Heimreise per Zug am 21. August 2005 das akustische und ideologische Kontrastprogramm zu dem der Woche, die hinter uns lag.
Krasser konnte ein kirchenfeindliches Statement nicht intoniert werden. Worauf ihre Protesthaltung gründete, weiß ich nicht zu sagen. Doch ich kann meine Meinung dagegen halten, die sich auf unmittelbare Erfahrungen gründet und nicht auf eine unreflektierte Provokation.
Ich war einer von sieben Pfadfindern des Stammes Langerwehe, die sich als freiwillige Helfer für den Einsatz beim Weltjugendtag in Köln gemeldet hatten. Um genau zu sein war unser Einsatzort Düsseldorf, wo auf den Rheinwiesen direkt gegenüber der Altstadt ein Pfadfindercamp aufgebaut werden sollte, um Unterbringungsmöglichkeiten für rund 7000 Pfadfinder aus aller Welt zu schaffen.
Am Sonntag, den 14. August, meldeten sich fünf von uns zum Dienst und nahmen im Gegenzug das Erkennungszeichen des WJT 2005 in Empfang: den begehrten blauen Pilgerrucksack, auch gefüllt mit zahlreichen Utensilien zur Einkleidung, wie Kappe, T-Shirt und Regencape.
Zwei unserer Gruppe sollten am nächsten Tag nachkommen; sie waren noch auf den Tagen der Begegnung in Wegberg, dem „Rhinemoot“, unterwegs.
Die Restlichen wurden ihrem Dienst zugeteilt, in unserem konkreten Fall dem Catering. Das bedeutete: wir waren dafür verantwortlich, in unserer Schicht jeden Tag ca. 1500 Pilger und Helfer mit Lunch- und Dinnerpaketen zu versorgen. An unserem Stand waren acht Helfer in Fließbandarbeit damit beschäftigt zunächst 1500 Dinnerpakete für das Abendbrot zu packen. Dabei wurden in Plastikbeutel Ciabatta-Brötchen, Brotaufstrich und Konserven gepackt (von dem vielen Verpackungsmaterial wollen wir lieber nicht sprechen). Währendessen bereitete der Koch die warme Mahlzeit für das Mittagessen in einer riesigen Pfanne zu. Der Lunch wurde dann in Sixpack-Portionen ausgegeben, was die Pilger dazu anhielt, Gemeinschafts-Ess-Teams zu bilden. Bei dieser Art der Essensausgabe wurde so der Grundstein für die ein oder andere Freundschaft gelegt.
Die Verköstigung sollte eine Aufgabe herkulinischen Ausmaßes werden, eine logistische Meisterleistung allemal. Um die 300 Lkw (je einer für besagte 1500 Mahlzeiten) fuhren tagtäglich von ihrem Zentrallager aus los, um die Pilger mit Nahrung zu beliefern. Gelotst wurden sie dabei vom WJTs-Büro, das ihnen mitteilte, wo die Pilger hinströmen sollten. Da solch eine Masse nicht immer so ganz den ihr vorgegebenen Weg nimmt bzw. eine Eigendynamik entwickeln kann, entstanden mancherorts Engpässe, sodass sich die Pilger mitunter in Geduld üben mussten, was mal ganz gut klappte, mal aber auch gar nicht (die Zeitungen berichteten darüber).
Abgesehen von solchen Pannen, die immer wieder beweisen, dass immer Unabwägbarkeiten bestehen bleiben, war dieser WJT ein Phänomen, das seinesgleichen sucht und zumindest Köln wohl so nicht mehr finden wird. Es war eine Aktion der Superlative. In seiner Quantität hatte der WJT etwas ungemein Erhabenes, das einen frösteln machen konnte. In seiner Qualität aber hatte es etwas Herzerwärmendes, das ich noch lange mit mir nehmen werde: nie zuvor habe ich so etwas Inspiriertes gesehen wie diese seligen, mit Freude erfüllten Gesichter in ihren farbenfrohen Trachten, denen selbst der Regen, der in Strömen freitags abends fiel, nichts anhaben konnte. Frohsinn und gute Laune herrschen in den Hochburgen rheinischen Karnevals wie Köln und Düsseldorf jedes Jahr, doch ist diese Art der Freude nur zu oft von außen hin motiviert und im Wortsinne inspiriert. Diese Intensität der Euphorie, wie sie diese Woche allgegenwärtig war, erreicht hingegen keiner unter Einfluss von Alkohol. Das Beste aber: bei den Pilgern wird sich keine Katerstimmung einstellen; vielmehr werden sie gestärkt in ihre Heimat zurückkehren, um von ihren gewonnenen Eindrücken zu berichten.
Was der gemeine deutsche Nicht-Pilger letztendlich aus seiner teilweise ihm aufgenötigten gemeinsamen Zeit mit den Italienern, Franzosen, Polen und sonstigen ausländischen Mitmenschen macht, bleibt ihm überlassen. Für mich allerdings war es eine bewegende Woche, die mir viel bedeutet für mein Verständnis von internationaler und interkultureller Verständigung. Ich zumindest habe mir vorgenommen Sprachkurse zu besuchen in: italienisch, spanisch, französisch usw. Na ja, wenigstens in französisch. Damit ich den französischen Koch in meinem Team beim nächsten WJT 2008 in Sydney verstehen kann.
Im Auftrag der Pfadfinder Langerwehe
Elmar Mertens